AUFSTEHEN FÜR DIE KUNST – STANDING UP FOR ARTS
Pressekonferenz 24.02.2021 Gasteig München
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- Die Künste erleiden seit Beginn der Corona-Krise eine beispiellose, sie in der Substanz gefährdende Krise: Die vielen selbständigen Künstler und Unternehmungen (Off-Theater, freie Chöre und Orchester) stehen finanziell zu einem großen Teil am Abgrund; die öffentlich getragenen Institutionen (Orchester, Theater, Opern- und Konzerthäuser) werden auf viele Jahre hinaus unter enormem Finanzierungs- und Rechtfertigungsdruck stehen; das Publikum erlebt eine historisch ungesehene Entfremdung von den Künsten, die eine rasche Erholung der Situation nach Wieder-Öffnung mit jedem Tag der Schließung weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
- Der ›Lockdown light‹ vom November 2020, in dem die Kunsteinrichtungen erneut als Erste schließen mussten, hat diese Situation maximal verschlechtert und die Künste gesellschaftlich überproportional belastet.
- Die Freiheit der Kunst wird im Grundgesetz ebenso vorbehaltlos gewährleistet wie die Religions- und Versammlungsfreiheit. Darin kommt ein Wertegerüst des Grundgesetzes zum Ausdruck, das bei allen staatlichen Maßnahmen zu beachten ist. Die Bayerische Verfassung sagt zudem: „Bayern ist ein Kulturstaat“ und stellt die Kultur damit gleichrangig neben den Rechtsstaat.
- Die gemeinsame Religionsausübung wurde auch im ›harten Lockdown‹ ab Dezember 2020 nicht verboten, für Glaubenseinrichtungen gab es keine pauschale Deckelung der Besucherzahlen. Man orientierte sich lediglich an der 1,5 m- Abstandsregel – im Übrigen auch unabhängig von (nicht) vorhandenen Lüftungsanlagen. In Gotteshäusern durften Besucher bis zum 9.12.2020 sogar noch ohne Masken singen – in Theatern und Konzertsälen durften sie hingegen gar nicht sein.
- Zwei voneinander unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen (Bayerische Staatsoper / TU München, Studie Dortmunder Konzerthaus / Fraunhofer Heinrich Hertz-Institut) bestätigen die Annahme, dass in Opern- und Konzerthäusern ein sicherer Betrieb ermöglicht werden kann: Ihre Ergebnisse besagen, dass bei Inzidenz-Werten, die verschieden beurteilt werden, sowie bei davon abhängiger Saalbelegung, kombiniert mit Maskenpflicht und Crowd-Management (Ankommen im Gebäude, Pausen, Verlassen des Gebäudes) sowie mit entsprechenden Belüftungsanlagen, keine erhöhte Infektionsgefahr herrscht. Die Darstellenden Künste mussten daher zu Unrecht schon im ›Lockdown light‹ pausieren.
- Moderne Theater, Opern- und Konzerthäuser sind in der Regel mit Lüftungsanlagen ausgestattet, die – vergleichbar beispielweise der Bayerischen Staatsoper – die Raumluft nach oben absaugen und binnen 9,5 min komplett austauschen. Welche Kirche/ Moschee/ Synagoge, welche Gaststätte kann mit vergleichbar effizienten Belüftungssystemen aufwarten?
WIR WOLLEN:
- verlässliche und baldige Wiedereröffnungs-Szenarien, welche die Kulturinstitutionen nicht schlechter stellen als Glaubenseinrichtungen, Wirtschaftsunternehmen, Gastronomie oder den Einzelhandel. Hierzu streben wir einen zeitnahen und intensiven Dialog mit der Politik an.
- den Einsatz von Testungen, so wie sie beispielsweise im Rahmen der Teststrategie an der Bayerischen Staatsoper praktiziert wurden, um die Sicherheit für die Künstler zu erhöhen und zu einem normalen Spielbetrieb mit vollständigem Repertoire und Originalbesetzungen zurückkehren zu können. Die finanziellen Mittel dafür müssen vom Staat bereitgestellt werden.
- eine Quarantänebefreiung für Künstler, die zur Ausübung ihrer künstlerischen Tätigkeit international reisen, analog dem Profisport. Diesbezügliche Regelungen müssen bundesweit einheitlich gelten.
- vor allem – und das ist der Kern unserer Initiative – eine rechtliche Überprüfung, inwieweit infektionsschutzrechtliche Beschränkungen kultureller Aktivitäten mit der im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit vereinbar sind. Den von uns Anfang Dezember 2020 angekündigten Eilantrag stellten wir mit Beginn des erneut verschärften ›harten Lockdowns‹ sowie mit der Ausrufung des Katastrophenfalles in Bayern einstweilen zurück. Sollten die Darstellenden Künste im Zuge von künftigen Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen nicht ihren (laut beiden wissenschaftlichen Studien) Möglichkeiten entsprechend reinstalliert werden, planen wir, den Eilantrag unverzüglich beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Dabei geht es nicht darum, die Notwendigkeit eines wirksamen Infektionsschutzes in Abrede zu stellen, sondern eine angemessene, vor allem dem Grundrecht auf Kunstfreiheit gerecht werdende Berücksichtigung unserer Interessen zu erwirken.
Dezember 2020:
Einreichung des Eilantrags gegen die vollständige Schließung von Konzert- und Opernhäusern auf Grund der aktuellen Inzidenzlage und der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern zunächst aufgeschoben
München, 11. Dezember 2020. – Nach eingehender rechtlicher Prüfung der 10. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und nach ausführlicher rechtlicher Beratung durch unsere Anwälte der Sozietät RAUE sehen die Antragsteller*Innen einstweilen weiterhin von der Einreichung des Eilantrages ab. Sie beabsichtigen aber, den Antrag einzureichen, sobald sich die Inzidenzlage in Bayern – vor allem in München – wieder bessert und die rechtswidrigen Beschränkungen der Kunstfreiheit dann nicht zeitgleich aufgehoben werden.
Durch die neue Verordnung haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen maßgeblich geändert. Bayern hat den Katastrophenfall ausgerufen, München den Inzidenzwert von 200 überschritten und für die Zeit nach Weihnachten ist bundesweit ein harter Lockdown bereits in Aussicht gestellt.
Die Antragsteller*Innen argumentieren wie folgt:
Durch die Veröffentlichung des Abschlussberichtes über den Pilotversuch der Bayerischen Staatsoper verfügen wir erst seit dem 03.12. über eine wissenschaftliche Analyse der tatsächlichen Gefahrenabwägung an den Theatern. Davor gab es zwar die Evidenz der 0% bekannten Virusübertragungen, aber auch reichlich Spekulationen über die vielleicht doch möglichen Gefährdungen.
Unser Hauptanliegen ist es, dass der Kunstfreiheit, ihrem verfassungsrechtlichen Rang entsprechend, Rechnung getragen wird und daher eine Gleichbehandlung mit anderen ebenso geschützten Bereichen, insbesondere Gottesdiensten, erfolgt. Einen harten Lockdown für alle tragen die Künstler*Innen selbstverständlich mit, einen harten Lockdown nur für die Kunst, während Gottesdienste, Demonstrationen und sogar der Einzelhandel weitgehend ungestört weiterlaufen können, wie es im Lockdown „light“ im November der Fall war, lehnen wir entschieden ab.
Wir streben an, dass es endlich nachvollziehbare Kriterien und dadurch auch wenigstens ansatzweise Planungssicherheit für die Kulturinstitutionen gibt, wie mit der Kultur in den verschiedenen Stadien des Lockdowns umzugehen ist. Wir wollen nicht weiter hinnehmen, dass die Kulturinstitutionen grundsätzlich immer die ersten sind, die in den harten Lockdown geschickt werden und die letzten, die daraus wieder entlassen werden – trotz des wissenschaftlich nachgewiesenen minimalen Infektionsrisikos, gerade im Vergleich zu den anderen ebenfalls grundgesetzlich geschützten Bereichen.
Wir weisen darauf hin, dass auch unter der neuen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sowohl Demonstrationen als auch Gottesdienste grundsätzlich zugelassen sind, sogar ohne starre Besucherobergrenze. Das sehen wir als eine durch nichts zu rechtfertigende Benachteiligung des auf derselben Stufe geschützten Bereichs der Kulturveranstaltungen an.
Im Zuge der unzureichenden und gemäß unserer Ansicht unausgewogenen Maßnahmen wurde mit dem Lockdown „light“ seit Anfang November das Ziel der Infektionszahl-Reduzierung nicht in ausreichendem Maße erreicht. Was aber erreicht wurde, ist eine weitere nachhaltige und erhebliche Schädigung des Bereichs der Darstellenden Künste. Das hat die Studie zum Pilotprojekt retrospektiv klargemacht.
Wir erwarten und fordern, dass die Bundesregierung sowie die Bayerische Staatsregierung sofort nach Beendigung des Katastrophenfalls und eines eventuell noch bevorstehenden wirklich harten Lockdowns, vergleichbar dem vom März 2020, bzw. nach entsprechendem Rückgang der Inzidenzwerte das Totalverbot von Konzerten, Opern- und Theateraufführungen aufheben wird.
Andernfalls werden wir, gemeinsam mit der mittlerweile sehr großen und stetig wachsenden Gruppe an Unterstützern, den Eilantrag umgehend beim Bayerischen Verwaltungsgericht einreichen.
Die Initiatoren:
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Hansjörg Albrecht
Kevin Conners
Christian Gerhaher
Weitere Informationen:
Website: www.aufstehenfuerdiekunst.de
Twitter: www.facebook.com/aufstehenfuerdiekunst @aufstehenfuerdiekunst
Facebook: www.twitter.com/_kunstfreiheit @_kunstfreiheit
DER ZEIT IHRE KUNST | DER KUNST IHRE FREIHEIT
Zitat von Ludwig Hevesi, Inschrift der Wiener Secession (1897/98)
07.12.2020
Geplanter Eilantrag gegen die vollständige Schließung von Opern- und Konzerthäusern – Bundesweit erste gemeinsame Initiative international renommierter Künstler*innen
Eine Gruppe von international renommierten Konzert- und Opernsänger*innen, Dirigent*innen, Instrumentalsolist*innen sowie Musiker*innen führender Symphonie- und Opernorchester hatte geplant, am 7. Dezember 2020 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Antrag zu stellen, um die zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie verordnete vollständige Schließung von Konzert- und Opernhäusern rechtlich überprüfen zu lassen. Nach der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern am Sonntag, den 6. Dezember 2020, stellen die Künstler*innen ihr Anliegen einstweilen zurück. Die geplanten rechtlichen Schritte werden vor dem Hintergrund der aktuellen Situation neu bewertet.
Bei dem geplanten Rechtsmittel handelt es sich um einen Eilantrag, dem sich ein Hauptsacheverfahren anschließen könnte. Zu den 25 Antragsteller*innen gehören u.a. die Sänger*innen Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Kevin Conners, Christian Gerhaher, Christiane Karg und Elisabeth Kulman sowie die Dirigenten Antonello Manacorda und Hansjörg Albrecht. Die Antragsteller*innen eint, dass sie alle in den nächsten Wochen (bis zum 20. Dezember 2020) an der Bayerischen Staatsoper, in der Philharmonie am Gasteig oder im Prinzregententheater aufgetreten wären. Eine sehr große Gruppe weiterer Künstler*innen hat sich dem geplanten Antrag als Unterstützer*innen angeschlossen.
Den Antragsteller*innen geht es nicht darum, die Notwendigkeit eines wirksamen Infektionsschutzes in Abrede zu stellen oder die von der COVID-19-Pandemie ausgehende Gefahr zu verharmlosen, sie bekunden ihr Mitgefühl mit den schwer am Covid-19-Virus Erkrankten und den Angehörigen der Verstorbenen. Sie befürworten ausdrücklich Maskenpflicht, erforderliche Hygienemaßnahmen oder Testungen zum Schutz von Mitwirkenden und Publikum. Das Anliegen der Antragsteller*innen besteht darin, eine angemessene, vor allem dem Grundrecht auf Kunstfreiheit gerecht werdende Berücksichtigung ihrer Interessen zu erwirken. Aus Sicht der Antragsteller*innen wird mit einer vollständigen, längerfristigen Schließung aller Kultureinrichtungen – trotz des Vorliegens wissenschaftlicher Studien und differenzierter Hygienekonzepte – keine angemessene Antwort auf die Corona-Gefahren gefunden und den Grundrechten der Künstler nicht ausreichend Rechnung getragen. Denn anders als die Durchführung von Gottesdiensten und Versammlungen ist die Durchführung von Konzerten und Kulturveranstaltungen vollständig untersagt, obwohl die dahinterstehenden Grundrechte Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Kunstfreiheit allesamt vorbehaltlos gewährleistet sind, also lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden dürfen.
Konkret ist der geplante Eilantrag darauf gerichtet, die in der aktuellen Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung enthaltene Schließungsanordnung für Opern- und Konzerthäuser sowie das Verbot der Durchführung von Kulturveranstaltungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Die Antragsteller*innen führen unter anderem an, dass für die Münchner Spielstätten, für die sie Engagements haben (Bayerische Staatsoper, Philharmonie am Gasteig und Prinzregententheater), ausgefeilte und erprobte Hygiene- und Schutzkonzepte vorliegen, die Virusübertragungen im Zuschauerbereich nahezu ausschließen. Das an der Bayerischen Staatsoper durchgeführte Pilotprojekt bestätige dies, wie der am 3. Dezember 2020 veröffentlichte Abschlussbericht zeige. Darin haben medizinische Experten des Klinikums rechts der Isar und der Technischen Universität München ebenso wie das Landesamt für Gesundheit resümiert, dass bei Anwendung eines elaborierten individuellen Hygienekonzeptes sowie unter den gegebenen Bedingungen des Pilotprojekts (7-Tage-Inzidenz überwiegend zwischen 35 und 100 je 100.000 Einwohner) keine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit für das Publikum festgestellt werden kann. Daher ist nach Ansicht der Antragsteller*innen die Annahme der Bayerischen Staatsregierung, dass eine vollständige und ausnahmslose Schließung von Konzert- und Opernhäusern erforderlich sei, um das Infektionsgeschehen effektiv begrenzen könnte, nicht tragfähig.
Zudem hat der Bundesgesetzgeber im Infektionsschutzgesetz auf Betreiben des Deutschen Kulturrats vor Kurzem klargestellt, dass Kulturbetriebe nicht zu Freizeiteinrichtungen zu zählen sind. Bei Untersagungen oder Beschränkungen im Bereich der Kultur muss laut Gesetzesbegründung der Bedeutung der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden. Dem werde die jüngste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung nicht gerecht, die in ihrer Begründung das Wort „Kunstfreiheit“ vollständig vermissen lasse, so die Antragsteller*innen.
Schließlich ist festzuhalten, dass in der Schweiz, Monte Carlo, Spanien und den Niederlanden aktuell vor Publikum gespielt werden darf, in Frankreich ist dieser Schritt für den 15.12.2020 geplant. Die Antragsteller*innen hoffen, auch mit der bayerischen Politik in Dialog treten zu können, um eine konkrete Öffnungsstrategie auf fachlich fundierter Basis zu entwickeln.
Den Livestream der Pressekonferenz finden Sie unter: