Die Passagierin Oper Bayerische Staatsoper München – Rezension

von | 18 Mrz 2024 | Kulturveranstalter, Aktuell

„Die Passagierin“ Oper in der Bayerischen Staatsoper München – keine Oper wie alle anderen

Wer in die Münchner Opernaufführung „Die Passagierin“ mit der klassischen Erwartung an eine Oper geht, der sollte seine Brille des „Gewohnten“ abnehmen und sich auf eine ganz neue Form von Darbietung einstellen.

Für mich ist diese Inszenierung ein Meisterwerk der Gefühlssprache, die mit allen Elementen in die unterschiedlichen Gefühlswelten dreier Zeit Epochen und dreier Menschen entführt und dabei das Unaussprechliche sichtbar macht. Nicht frontal, sondern durch geschickte Verwebung von Orchester, Gesang, Bühne und Inszenierung. Die Hauptfiguren sind die KZ Aufseherin Lisa, heute, in den 1950iger Jahren und damals in Auschwitz. Ihr Mann Walter, dem sie in den 1950iger Jahren leider nicht die ganze Wahrheit sagte und letztendlich auch daran zerbrach. Und Maria, die polnische Strafgefangene, die in dem Leben von Lisa bis zum Ende präsent ist.

Gesungen wird in dem Stück in Polnisch, Deutsch, Englisch und Hebräisch. Das Orchester unterstreicht die Szenen und Gefühle der Bühne mit expressiven Weinberg Stücken. Darunter finden sich auch Elemente der Zwölftonmusik, volksmusikalische Ausflüge, Jazz und als Plädoyer die berühmte Chaconne für Violine von Johann Sebastian Bach. Am Orchesterpult: Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski.

Ein schwieriges Thema genial umgesetzt.

Die Handlung

Zu Beginn sieht man die Weite des Meeres. Die Wellen des Wassers und die Musik zeugen von der Stille des ruhigen Ozeans. Trügerisch über den unbekannten Tiefen der Vergangenheit. Im ersten Akt wechselt das Bühnenbild zwischen Balkonen eines Luxusschiffes und dem Inneren der Kabine. Lisa als alte Frau steht mit der Urne Walters auf ihrem Balkon, weitere Passagiere des Schiffes sonnen sich, üben sich in Yoga und verlieren sich im Smartphone. Sie weicht zur Seite, als Lisa in den 50iger Jahren den Balkon mit Walter, ihrem Ehemann betritt. Lisa durchlebt ihre damalige Begegnung mit der KZ Gefangenen Maria 15 Jahre nach Kriegsende und den verhängnisvollen Halbwahrheiten gegenüber Ihrem Mann noch einmal so, als wäre es gerade jetzt geschehen. Das Trauma der Vergangenheit bricht voll und ganz über sie herein. Mit der Urne Walters in den Armen versucht sie sich zu erklären. Doch Walter ist gegangen und sie scheitert an ihren Erinnerungen und Gefühlen. Sie folgt ihm in die Tiefen des Meeres. Oder vielleicht in die Tiefen Ihrer Erinnerungen. Der erste Akt geht tief, berührt und macht nachdenklich.. Das Vergessen und verdrängen der ganzen Wahrheit als Überlebensstrategie werden in einer künstlerischen Besonderheit dargeboten. Eine Konfrontation menschlicher, ja zeitloser Gesellschaftsrollen gegen das Vergessen.

Die Passagierin - Bayerische Staatsoper München Copyright Hösl

Die Passagierin – Bayerische Staatsoper München Copyright Hösl

Der zweite Akt spielt im Ballsaal des Schiffes. Lisa und Walter nehmen an einem Tisch Platz.  Gedeckte Tische, fröhliche Stimmung und ausgelassene Gespräche, so wie in den 1950iger Jahren wohl gefeiert wurde. Das Bühnenbild ist angelehnt an die Barackenbauten in Ausschwitz.. Lisa und Walter wollen tanzen – doch wieder rückt die Erinnerung bei Lisa in den Vordergrund. Sie durchlebt die verhängnisvolle Szene mit der KZ Inhaftierten Maria und ihrem Verlobten. Gefangen zwischen Gehorsam, Zweifel, Angst und Macht intrigiert sie Maria und ihrem Musikerverlobten zu einem gefährlichen Spiel, das tödlich endet. Das damalige Schweigen Marias und die Begegnung mit der Totgeglaubten 15 Jahre nach Kriegsende verfolgt sie bis an ihr Lebensende.

„Die Passagierin“ endet mit dem Anfangsbild des stillen Meeres und dem Weitblick.  Musikalisch beeindruckend schwebt die Botschaft gegen das Vergessen in den Raum.

Zurück in die Gegenwart – Die Passagierin – Oper von Mieczyslaw Weinberg

Regisseur Tobias Kratzer überarbeitete gemeinsam mit Dirigent Vladimir Jurowski Weinbergs Oper „Die Passagierin“. Der Komponist Mieczyslaw Weinberg erlebte den Holocaust und entkam als einziger seiner Familie dem Grauen durch seine Flucht in die Sowjetunion. Die 1968 vollendete Oper erzählt von den Leiden der Vergangenheit. Trotz der regimefreundlichen Figur einer Kommunistin durfte die Oper in der Sowjetunion nicht gespielt werden. Erstmals aufgeführt wurde „Die Passagierin“ im Jahre 2010 in Begrenz. Mieczyslaw Weinberg konnte sein Werk nie auf der Bühne sehen.

Für die Münchner Aufführung strichen Kratzer und Jurowski alle Passagen, die als russische Propaganda von Weinberg und seinem Librettist eingebaut wurden. So entstand ein Drehbuch, dass sowohl den Handlungsstrang des damaligen Auschwitz anspricht als auch uns dazu ermutigt, jegliche Form von Propaganda im hier und Jetzt kritisch zu hinterfragen.  Ein Meisterwerk, das zeitlos daran erinnert, dass wir nicht vergessen sollten. Zurückblickend bringt die Münchner Fassung von „Die Passagierin“ die Brennthemen von damals und heute in die Reflektion. Die Oper lädt ein, über Zwiespalt, Gefühle, gesellschaftlichen Bewegungen und der Wahrheit genau abzuwägen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Vielleicht sogar soweit, sein eigenes Verhalten in jeglicher zwischenmenschlicher Begegnung zu überdenken.

Die Passagierin Oper München - zweiter Akt

Das Werk

Das Libretto basiert zum großen Teil auf dem gleichnamigen autobiographischen Werk der polnischen Autorin Zofia Posmysz. Posmysz war zwischen 1942–1945 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz inhaftiert. Auf einer Dienstreise mit ihrem Mann 1959 in Paris hörte sie eine Frau auf Deutsch mit ihrem Kind sprechen und dachte, es handele sich um ihre Aufseherin Anneliese Franz.

Daraufhin schrieb sie noch im selben Jahr das Hörspiel Pasażerka z kabiny 45 (Die Passagierin aus Kabine 45), später folgte noch ein Drehbuch für einen Film und die Erzählung Pasażerka. Die Erzählung wird als Hauptquelle für die Oper angesehen.  Wie es zur Zusammenarbeit zwischen Mieczysław Weinberg und dem Librettisten Alexander W. Medwedew kam, ist nicht abschließend gesichert. Die beiden sollen sich schnell auf den Stoff geeinigt haben, es sollte jedoch noch zwei Jahre dauern, bis Medwedew mit Zofia Posmysz Kontakt aufnahm, um sie für die Arbeit am Libretto zu treffen. In den zwei Treffen zwischen den beiden – das zweite fand in Auschwitz statt – gab es auch Uneinigkeiten über inhaltliche Überführungen von der Erzählung zum Opernlibretto.

Zeit ihres Lebens „distanzierte“ Posmysz sich in subtiler Form vom Libretto. In Medwedews Textversion seien einigen Personen, die im Buch zudem nicht auftauchen, „ideologische Aussagen in den Mund“ gelegt worden, so Posmysz später. Medwedew habe, laut Posmysz, seinerzeit argumentiert, dass gewisse Dinge im Libretto stattfinden müssten, einerseits aus musikdramaturgischen Gründen, andererseits, damit das Werk die Zensur passiere.

Die Datierung auf dem nach bisherigem Kenntnisstand ältesten Manuskript, einer Klavierpartitur, verweist auf einen Kompositionszeitraum vom 13. Dezember 1967 bis zum 8. Februar oder März 1968. Aus einem Brief, den Weinberg seiner Frau im August 1965 schrieb, wird jedoch klar, dass er wohl damals bereits an der Komposition arbeitete. Die Komposition steht in der Tradition der „Gedenkkompositionen“ für die „Opfer des Großen Vaterländischen Krieges“, welche die vom sowjetischen Regime gerade in der „Ära“ des Leonid I. Breschnew, der seit 1964 Generalsekretär der KPdSU war, ideologisch ausgebeuteten Gräueltaten der Faschisten musikalisch kolportiert. Weinberg versuchte ganz offensiv, seinem „gesellschaftlichen Auftrag“ nachzukommen, indem er das „Ethos seines Staates“, nämlich die Aufforderung, diese Gräueltaten nicht zu vergessen, als „künstlerische Botschaft“ seiner Oper formulierte.

Libretto und Komposition stellen Opfer und Täter:innen eindeutig gegenüber, während Posmysz holzschnittartige und moralisierende Abgrenzungen ja geradezu kategorisch vermieden hatte. Die szenische Uraufführung fand erst am 21. Juli 2010 bei den Bregenzer Festspielen statt, weder Mieczysław Weinberg noch der Librettist Alexander W. Medwedew erlebten diese. Einzig Zofia Posmysz war anwesend.

Oper in zwei Akten
Deutsch, Englisch, Polnisch, Hebräisch

Lisa – Sophie Koch
Marta – Elena Tsallagova
Walter – Charles Workman
Tadeusz – Jacques Imbrailo
und andere
Bayerischer Staatsopernchor
Bayerisches Staatsorchester
Leitung: Vladimir Jurowski

Fotos: Copyright Hösl

Weitere VORSTELLUNGEN DIE PASSAGIERIN

Komponist Mieczysław Weinberg. Libretto von Alexander W. Medwedew nach dem gleichnamigen autobiographischen Roman Pasażerka von Zofia Posmysz (1923-2022).

Oper in zwei Akten (Komposition 1968)

PREMIERE
So, 10.3.24, 18.00 Uhr

WEITERE VORSTELLUNGEN
Mi, 13.3.24, 19.00 Uhr
Sa, 16.3.24, 19.00 Uhr
Fr, 22.3.24, 19.00 Uhr
Mo, 25.3.24, 19.00 Uhr

Sa, 13.7.24, 19.00 Uhr
Di, 16.7.24, 19.00 Uhr

Bayerische Staatsoper

Max-Joseph-Platz 2

D – 80539 München

Postfach 10 01 48

D – 80075 München

E-Mail: besucher@staatsoper.de

T +49 (0)89 21 85 10 25

F +49 (0)89 21 85 10 33

 

 

Bayerisches Staatsballett

Platzl 7

D – 80331 München

T +49 (0)89 21 85 17 11

F +49 (0)89 21 85 17 03

 

das könnte Sie auch interessieren

MET Gala Hollywood

MET Gala Hollywood

Am 6. Mai ist es wieder so weit. Zur berühmten Met-Gala steht die Modewelt Kopf. Persönlichkeiten aus der Design-Szene, Models und Hollywoodstars...

mehr lesen
immer aktuell - tragen Sie sich in unseren Newsletter ein.

immer aktuell - tragen Sie sich in unseren Newsletter ein.

jede Woche positive Inspiration für Kultur, Freizeit und Urlaub.

vielen Dank, Sie haben sich erfolgreich in unserem Newsletter eingetragen.