Mit DUATO / SKEELS / EYAL – dem dreiteiligen Ballettabend im Bayerischen Staatsballett in München mit Choreographien von Nacho Duato, Andrew Skeels, Scharon Eyal und Gai Behar gelang mit der Premiere zur Ballettfestwoche ein beeindruckendes Eintauchen in neue Sphären des absoluten Erlebens mit allen Sinnen. Ein Tanzabend, der nachhallt, beeindruckt und in kosmische Welten entführt. Standing Ovations und nicht endend wollender Applaus des Publikums bestätigten die herausragende Leistung des Gesamtwerks. Dieser Abend hallt nach und lädt ein, in einen zeitlosen Kosmos einzutauchen.
Für den Auftakt der diesjährigen Ballettfestwoche hat Ballettdirektor Laurent Hilaire mit Duato/Skeels/Eyal einen neuen Dreiteiler konzipiert, der thematisch um verschiedene Formen des Eskapismus kreist und drei Choreograph:innen des 21. Jahrhunderts vereint.
White Darkness
Zu Beginn ist Nacho Duatos biographisch geprägtes Werk White Darkness zu sehen. Die Choreographie entstand 2001 für die Compañía Nacional de Danza in Madrid und beschäftigt sich mit dem fatalen Sog von Rauschmitteln. Der Drogentod einer der Schwestern des Choreographen war Auslöser für dieses ebenso eindrückliche wie sinnlich packende Gruppenstück. Musikalisch erklingen die Adiemus-Variationen, das zweite Streichquartett sowie die Passacaglia für Streichorchester des walisischen Komponisten Karl Jenkins. Das Hauptpaar von White Darkness sind derzeit Madison Young und Jakob Feyferlik sowie Laurretta Summerscales und Osiel Gouneo.
Dass Nacho Duatos choreographischen Ideen aus der Musik kommen, vereint sich in diesem Stück zu einer mitreißenden Welle, die durch beeindruckende Lichteffekte untermalt werden. Die klare Symbolik der Bühnensprache zeigt den Kampf mit „der weißen Dunkelheit“ in allen Facetten. Zur Streichmusik des walisischen Komponisten Karl Jenkins erkennt man die anfängliche Euphorie und Sorglosigkeit des „nur mal probierens“ mit Gleichgesinnten. Der Kampf der Familie der Drogenabhängigen, sie davon abzuhalten, misslingt unter anderem durch ihren Freund, der Dealer und Mitbetroffener ist. Das Verschwinden im weißen Nebelstrahl als Schlussbotschaft löst Gänsehaut aus und bleibt lebendig im Gedächtnis. Die unmittelbare Wirkung von Tanz, beeindruckende Pas de deux in Verknüpfung zu einem schlichtem, aber beeindruckendem Bühnenbild ziehen in den Bann. Akzentstark unterstreichen die Lichteffekte der Bühne die künstlerische Dramaturgie. Duatos Liebe zur Symetrie und dem Fließen aller Bewegungen zeigt sich in diesem Stück beeindruckend und zieht in ein zeitloses Erleben. Das Bühnenstück spiegelt die beeindruckende Persönlichkeit Duatos wieder, der sich voll und ganz mit zeitkritischen Themen auseinandersetzt.
Chasm – Uraufführung
Den Mittelteil des Abends bildet die Kreation Chasm des in Kanada lebenden Choreographen Andrew Skeels. Choreographisch reist er mit 20 Tänzer:innen in eine ferne Zukunft, in der sich eine neue menschliche Spezies entwickelt hat. Diese Spezies verfügt über neue Kommunikationsformen und erfindet schließlich zur Rettung der eigenen Gattung ein Ritual, um aus den Schwierigkeiten des Jetzt auszubrechen. Das Science Fiction-Szenario wird von den filmmusikähnlichen Klängen des Komponisten Antoine Seychal eingerahmt.
Zur sphärischen Musik mit tropfsteinhöhlenähnlichen Nebenklängen vereinen sich Einzelne zu einem sich wellenförmig ausbreitenden Organismus. Eine Vison von Skeels, wie unsere Welt in tausend Jahren aussehen könnte. Skeels beschäftigt sich mit Geologie. Aus der historischen Evolutionsbeobachtung ist es für ihn logisch, dass sich Lebensformen auf dem Planeten weiterentwickeln und aussterben. Gleich zu Beginn zieht das Bühnenbild in Einklang mit der Musk in den Bann. Die niedrige Beleuchtung unterstreicht die drückende, dystophisch anmutende Atmosphäre der Aussichtslosigkeit. Die Kostüme und Maske unterstreichen die futuristische Gegenwart, die man eventuell aus Filmen wie DUNE und MATRIX kennt. Eine Untergangsstimmung in einem geschlossenen, noch geschütztem Lebensraum, der zu sinken droht. Man spürt Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung in sich bildenden geschlossenen Organismen und daraus ausbrechender Versuche, Neues zu wagen. Die Tanzenden verschwimmen ineinander, bilden eine Einheit, die zu einem ganzen Großen verschmilzt, in absoluter Perfektion der Synchronisation. Andrew Skeels inspirierte sich durch die Wissenschaft der Pilze, die in einem unterirdischem System miteinander verbunden sind und kommunizieren. Der einzelne, sichtbare Pilz ist nur ein kleines Modul im Gesamtnetzwerk. Die einzige Rettung scheint ein gemeinsames Ritual zum Ausstieg aus der Höhle, um dem Jetzigen zu entfliehen und in die ungewisse Zukunft zu gehen. Letztendlich gelingt der Aufbruch zum Licht, doch leider nicht zum Leben des Kollektivs. Eine Kreatur, ein Hoffnungsschimmer bleibt im Lichterkegel stehen – ob sie wohl überlebt?
Von Anfang an ist man wie in Trance mit dem Stück verbunden. Der Tanz verwebt sich mit der Geschichte dahinter und führt von Anfang an in die dystophische Vorstellungskraft Skeels. 20 Tänzer verschmelzen zu einem großen Ganzen und doch ist die Ästhetik des einzelnen Tänzers erkennbar. Formen entstehen, lösen sich wellenförmig auf und verbinden sich zu einem neuen Aspekt. Ein Meisterwerk tänzerischer Ausdrucksstärke, das mit ihrer Botschaftskraft und Kraft den stärksten Teil des dreiteiligen Abends bildet. Eine Meisterleistung!
Autodance
Den Abschluss des Abends bildet die 2018 in Göteborg entstandene Choreographie Autodance von Sharon Eyal und ihrem choreographischen Mitarbeiter Gai Behar. Ähnlich wie in ihrem in München bereits aufgeführten Bedroom Folk entwickelt Eyal in Autodance ausgehend von scheinbar einfachen Schrittbewegungen einen soghaften, unendlich wirkenden Bewegungsablauf, der Publikum wie Darsteller:innen in seinen Bann zieht. Verantwortlich für das musikalische Arrangement ist der DJ Ori Lichtik.
Fast leise, harmonisch und beruhigend wirkt der Beginn des Bühnenbildes mit gleitenden, fortschreitenden, gleichmäßigen überstreckten Körpern auf halber Spitze. Dieses Bild führt in eine Art zeitlose Trance. Eine einzelner Tänzer eröffnet das Bühnenbild mit Laufstegschritten in ungewöhnlich gestreckter Körperhaltung. Eine Tänzerin umwirbt ihn spielerisch. Weitere TänzerInnen folgen diesem monotonem Gleichschritt mit Hohlkreuz, halber Spitze und head to toe, der in der Einheit aller TänzerInnen an die bedrohliche Welle des Kollektivs erinnert. Manche greifen sich in dieser monotonen Schrittfolge an den Hals, so als würden sie ersticken. Einzelne brechen aus um sich dann wieder einzuordnen. Verquere Verrenkungen der Arme, scharfe Bewegungsmuster treten mit katzenhaft-weichen Schultern und kompromisslosen Überdehnungen in Kontrast. Es gibt nur die Dynamiken der Gruppe und die sich einzeln herauslösenden Minosoli, die aufleuchtende Organe des selben Körpers sind. Mitten in der zeitlosen Trance des Monotonen im Stück ein faszinierendes Solo: Ein ausdehnender Körper, ein Schlangemensch in der Häutung mit trancebildenden Bewegungen, die neue Wesenheiten auf der Bühne entstehen lassen, vielleilcht auch nur Sinnestäuschungen sind. Der Körper verschmilzt geschmeidig in unbekannten Bewegungen, fast wie eine Symbiose mit der eigenen Phantasiewelt. Eingefangen sind die beeindruckenden Bewegungen im Kegel eines Lichts, das die tänzerische Meisterleistung fokussiert, mystisch unterstreicht. Nach diesem Aufgebot beginnt der Kult für die Gruppe und der kontrollierte Bewegungsrausch der gesamten TänzerInnen steigert sich zur Ekstase. Ein Wechselspiel von Kontrolle und totalem Loslassen, ein zuckendes Hirn und sich windendes Herz.
Einen Augenblick sich selbst vergessen und sich mit Grenzerfahrungen selber kennenlernen. Autodance wiegt langsam in einen Trancezustand, der in einen zeitlosen Raum übergeht und bei dem man verwundert staunt, das jetzt schon ganze 40 Minuten vergangen sind. Die totale Fokussierung auf das jetzt – den zentralen Punkt, der in vielen Meditationsformen und Religionen angestrebt wird, gelingt mit diesem Stück. Die tänzerische Höchstleistung ist unglaublich. Welche Körperbeherrschung lässt TänzerInnen auf der Bühne über einen langen Zeitraum mit überstrecktem Körper, halber Spitze und asymetrischen Bewegungen perfekt durchhalten? Bühnenbild, Technik und Kostüm unterstreichen die Kraft von Ritualen. Die Musik nimmt einen mit auf die Reise in den Raum des Nichts der Trance.
Das weitere Festwochenprogramm der Ballettfestwoche München im Bayerischen Staatsballett München:
Neben dem Premieren-Dreiteiler Duato/Skeels/Eyal und dem damit verbundenen Hausdebüt von Andrew Skeels präsentiert Laurent Hilaire als weiteren Höhepunkt das zweitägige Gastspiel der belgischen Tanztheatercompagnie Peeping Tom. Das Ensemble zeigt mit Triptych: The missing door, The lost room und The hidden floor einen Abend, der mittlerweile international bei vielen Tanzbegeisterten Kultstatus erlangt hat. Eingebettet in ein Gesamtkunstwerk aus Bühnenbild, Requisten und Licht erlebt das Publikum in Triptych eine das Ballettvokabular auf den Kopf stellende Bewegungssprache mit Sogpotential: „Die Arbeit von Peeping Tom ist absolut beeindruckend. Triptych ist für mich eines der Meisterwerke des Tanztheaters und ein perfekter Kontrapunkt zu unserem Staatsballett-Programm“, so Laurent Hilaire.
Außerdem stehen die Klassiker Onegin von John Cranko und La Bayadère von Patrice Bart auf dem diesjährigen Festwochenprogramm. Ergänzt wird der Spielplan durch Alexei Ratmanskys seminarrative Tschaikowski-Ouvertüren und Angelin Preljocajs Le Parc. Auch die Junior:innen dürfen ihr Können wieder im Rahmen einer Heinz-Bosl-Matinee zeigen.
Besetzungen Ballettfestwoche
An der Produktion Duato/Skeels/Eyal ist ein großer Teil des Ensembles beteiligt und gibt einigen Corps-de-ballet-Mitgliedern besondere Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Unter anderem wird in Autodance die junge Französin Eline Larrory ein Solo tanzen, auch die Tänzer Severin Brunnhuber, Raphael Vedra und Robin Strona sind solistisch besetzt.
Des Weiteren bieten die Repertoire-Vorstellungen ein Wiedersehen mit vielen Principal-Paarungen: In Onegin sind Maria Baranova und Jinhao Zhang zu erleben. Le Parc bringt die Premierenbesetzung Madison Young und Julian MacKay zurück auf die Bühne. In den Tschaikowski-Ouvertüren sind neben António Casalinho und Shale Wagman fast alle Erste Solist:innen zu sehen. Im Klassiker La Bayadère präsentiert sich die neue Solistin Ksenia Shevtsova als Nikjia, an ihrer Seite Osiel Gouneo als Solor und Laurretta Summerscales in ihrem Rollendebüt als Gamzatti.
Tickets für die Ballettfestwoche können unter www.staatsballett.de, telefonisch unter der +49 89 21 85 19 20 (Mo – Sa, 10.00 – 19.00 Uhr) oder an der Tageskasse am Marstallplatz 5 erworben werden.
Programmübersicht Ballettfestwoche 2024
- Freitag, 12.04.24, 19.30 Uhr, Duato/Skeels/Eyal
- Samstag, 13.04.24, 19.30 Uhr, Onegin
- Sonntag, 14.04.24, 11.00 Uhr, Frühlings-Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung
- Sonntag, 14.04.24, 19.30 Uhr, Duato/Skeels/Eyal
- Dienstag, 16.04.24, 20.00 Uhr, Gastspiel Peeping Tom: Triptych
- Mittwoch, 17.04.24, 20.00 Uhr, Gastspiel Peeping Tom: Triptych
- Donnerstag, 18.04.24, 19.30 Uhr, Tschaikowski-Ouvertüren
- Freitag, 19.04.24, 19.30 Uhr, Le Parc
- Samstag, 20.04.24, 19.30 Uhr, La Bayadère
#BSBtriplebill – DUATO / SKEELS / EYAL
Choreographie Nacho Duato, Andrew Skeels, Sharon Eyal. Musik Karl Jenkins, Antoine Seychal, Ori Lichtik.
Dreiteiliger Ballettabend (2001, 2024, 2018)
empfohlen ab 14 Jahren
Dauer ca. 2 Stunden 30 Minuten
EINFÜHRUNGEN
Einführungen finden jeweils ab dem 14.04.2024 eine Stunde vor Vorstellungsbeginn im 1. Rang im Vorraum zur Königsloge statt.
Zu beachten: Sitzplätze nur begrenzt vorhanden, Dauer ca. 20 Min.
HINWEIS ZUR LAUTSTÄRKE
Die Musik für alle drei Stücke wird vom Tonband abgespielt. Sollten Sie ein empfindliches Gehör haben, können Sie beim Einlasspersonal um einen Gehörschutz bitten.
Weitere VORSTELLUNGEN
PREMIERE
12.04.2024
- 14.04.2024 19.30 Uhr
- 04.05.2024 19.30 Uhr
- 09.05.2024, 19.30 Uhr
- 05.06.2024, 19.30 Uhr
- 08.06.2024, 19.30 Uhr
- 30.06.2024, 14.00 Uhr / Ingolstadt
- 10.07.2024, 19.30 Uhr
- 01.11.2024, 18.00 Uhr
- 17.11.2024, 19.30 Uhr
- 06.12.2024, 19.30 Uhr
Bayerische Staatsoper
Max-Joseph-Platz 2
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Postfach 10 01 48
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Bayerisches Staatsballett
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D – 80331 München
F +49 (0)89 21 85 17 03
Rezension: Birgit M. Widmann // Stephi Hunger
Fotos: Copyright Bayerisches Staatsballett